Über Antifaschismus und Repression anlässlich der Aktionen gegen den AfD-Bundesprogrammparteitag in Stuttgart am 30. April 2016
Am 30. April und am 1. Mai 2016 hielt die AfD eines ihrer wichtigsten Treffen seit ihrer Gründung auf dem Messegelände in Stuttgart ab – ihren Bundesprogrammparteitag. Für die Gegenbewegung war die Organisation von Aktionen gegen dieses Event dementsprechend ebenfalls von besonderer Bedeutung.
Die Rahmenbedingungen waren dabei von vorneherein ungünstig. Ort und Termin wurden recht kurzfristig bekannt und räumlich, in der Stuttgarter Peripherie auf den Fildern gelegen, war das Messegelände auch eher ungewohntes Terrain. Dennoch beteiligten sich Tausende am 30. April an den Gegenaktionen. Es gab verschiedenste Aktionen; neben einer Bündnisdemonstration mit mehr als 4000 Menschen und Kundgebungen vor der Messe gab es verschiedenste Menschenblockaden am Messegelände, eine Outingaktion in Stuttgart und militante Blockaden der Bundesstraße 27 und der Autobahn 8.
Ebenso war der Tag geprägt von einer sorgfältig, auch schon im Vorfeld verbal aufgebauten Drohkulisse aus Hundertschaften, Wasserwerfern, Hubschraubern, einer riesigen Gefangenensammelstelle und Polizeikesseln mit hunderten Menschen.
Mehr als ein Jahr ist seitdem vergangen und es flattern gelbe Briefe mit Vorladungen und Strafbefehlen ins Haus, die ersten Prozesse fanden bereits statt – Zeit für uns, nochmal einen Blick auf die Aktionen und die Repression dagegen zu werfen.
War‘s das wert?
Gerade vor dem Hintergrund hunderter Ingewahrsamnahmen, ED-Behandlungen und etlichen Strafverfahren stellt sich die Frage, ob die Aktionen dennoch als Erfolg zu werten sind. Man könnte böswillig argumentieren, was man denn anderes hätte erwarten sollen bei Hunderten, die sich an teils militanten Blockadeaktionen beteiligten. Wäre es nicht besser gewesen, hätte es nur die Massenproteste eines noch breiteren Bündnisses vor dem Versammlungsort gegeben? Keine konkreten Verhinderungsaktionen, sondern symbolischen Protest, vielleicht ein paar Eier und faules Obst, aber dafür auch keine großen Bullenangriffe, kaum Festnahmen und Strafverfahren. Oder hätte man das Feld doch besser Kleingruppen überlassen, die dann militant hätten agieren können? Weniger Menschen involviert, präzise durchgeführte Aktionen, maximaler Nutzen, kalkulierbares Risiko. Oder ist es nicht notwendig verschiedene Aktionsformen zu kombinieren? Massenaktionen, etwa im Rahmen eines Bündnisses und Raum für militantes Agieren stehen dabei nicht gegeneinander. Im Gegenteil, beides bedingt sich. Wenn neben Kundgebungen und Stellungnahmen verschiedener gesellschaftlicher Kräfte auch militantere Aktionen und Aufrufe Teil von Protesten sind, ohne dass sich die eine Seite von der anderen distanziert, ist die Wahrnehmung nach außen viel eher die, dass sich nicht nur das „gute Gewissen der Nation“ gegen deren übelste Auswüchse auf die Straße bequemt. Ebenso kann so weniger leicht behauptet werden, dass ausschließlich „Krawalltouristen“ gegen „Was-auch-immer“ randalieren.
Beim AfD-Bundesprogrammparteitag wurde beides angepackt, verschiedenste Aktionen auf der Messe trugen ebenso zum Erfolg des Tages bei und wurden von allen beteiligten Kreisen als wichtig begriffen, wie die Bündnisdemo mit über 4000 Menschen am Nachmittag in der Stadt. Ermöglicht wurde das, weil es in Stuttgart und Region bis hin zu einigen Teilen Baden-Württembergs verschiedenste antifaschistische Strukturen gibt, zwischen denen eine solidarische Zusammenarbeit seit Jahren praktiziert wird. Ob geschlossene Antifagruppen, Offene Treffen oder andere gesellschaftlichen Kräften alle verhielten sich ganz selbstverständlich zu der AfD-Veranstaltung und ermöglichten die Einbindung verschiedenster Menschen und Milieus.
Sicher ist dabei nicht alles zu hundert Prozent rund gelaufen, die AfD blieb im wesentlichen geschützt von tausenden Bullen ungestört. Aber klar ist, dass es selbst nachdem die Bullen hunderte Menschen, die vor allem dem aktionsorientierteren Teil der Proteste angehörten, trotzdem noch große und erfolgreiche Aktionen gab. Demzufolge war auch die Rezeption der an den Aktionen teilweise erstmals beteiligten Menschen und Organisationen, sowie den über sie indirekt erreichten Kreisen vorwiegend positiv. Auch das mediale Echo umfasste neben den militanten Aktionen den breiten Charakter des Protestes. Für ein aktionsorientiertes Antifaspektrum waren viele praktizierte Aktionsformen und Herangehensweisen, die es in diesem Umfang im Südwesten in den vergangenen Jahren nicht gab, wiederum Erfahrungen, auf die in Zukunft immer wieder zurückgegriffen werden kann.
Da geht doch noch mehr!?
Zu diesen Erfahrungen zählt, dass tendenziell effektive Aktionen, wie das Blockieren der B27 und der A8 sicherlich eine größere Wirkung gehabt hätten, hätte es hier eine bessere Anbindung und Vermittlung an mehr Menschen gegeben. Von mehr als 600 Menschen, die eine S-Bahn-Station früher als die Bullen erwartet hatten ausstiegen, beteiligten sich nur wenige komplett an der Aktion.
Wichtig ist auch festzuhalten, dass der frühe Vogel nicht unbedingt immer den Wurm fängt. Im Klartext: Wenn die Anreise der AfD‘ler erst gegen 8 Uhr wirklich los geht, ist es eher suboptimal bereits um 7 Uhr einen Stau auf dann noch relativ wenig befahrenen Fernstraßen zu erzeugen.
Dennoch wurde insgesamt deutlich, dass es trotz einem massiven Aufgebot von über 1700 Bullen, mehreren Hubschraubern, Wasserwerfern, Absperrungen mit Hamburger Gittern und Stacheldraht sowie Pferde- und Hundestaffeln, mit der richtigen Taktik möglich ist, Nadelstiche und deutliche Akzente zu setzen ohne dabei alle Beteiligten massiver Repression auszusetzen. Hunderte Andere mussten indes aber auch die Erfahrung machen, dass gerade das mit der Repression angesichts einer massiven Übermacht niemals einfach ist. Jene, die um sieben Uhr morgens aus Bussen direkt an der Autobahnausfahrt Flughafen/Messe ausstiegen, anschließend kleinere Materialblockaden errichteten und Pyrotechnik zündeten, hörten nach wenigen Minuten auf, in Bewegung zu bleiben. Alle, die mit dem Vorgehen der baden-württembergischen Polizei der letzten Jahre schmerzhaft vertraut sind, wissen, dass es dann nur der gängigen Polizeitaktik entspricht, eine solche Menschenmenge zu kesseln, festzunehmen und in der vorbereiteten Riesen-GeSa mit ED-Behandlungen abzufertigen. Die Busanreisen machten unter den Festgenommenen dieses Tages den Großteil aus.
Es ist uns aber wichtig, die Gründe für die Repression nicht bei jenen zu suchen, die sich durch beherzte Aktionen selbst in Gefahr bringen, ihnen gilt unsere volle Solidarität und unser Respekt. Denn wir ändern die Verhältnisse nur, wenn wir uns bewegen, ausprobieren und Erfahrungen sammeln und anwenden. Darum gehört zu unserer Solidarität aber auch die solidarische Kritik, etwa hinsichtlich der Repressionsanfälligkeit bestimmter Vorgehensweisen.
Leider normal
Dabei ist es nur logisch, dass Repressionsbehörden immer zuschlagen, wenn Kräfte aktiv werden, die dem kapitalistischen System nicht integrierbar gegenüberstehen und nicht kontrollier- und einsehbar sind. Wir bringen die Hetze der AfD mit diesem herrschenden System und der Politik der anderen bürgerlichen Parteien in Zusammenhang. Darum steht uns der bürgerliche Staat natürlich auch in unserem antifaschistischen Kampf unversöhnlich gegenüber. Er ist trotz Lippenbekenntnissen und BündnispartnerInnen innerhalb einiger Gliederungen von SPD, Grünen und der Partei Die Linke niemals ein Ansprechpartner für unsere Politik.
Im Gegenteil: Er wird uns wieder und wieder seine Schergen aufden Hals hetzen. Das wird aller Voraussicht nach auch noch eine ganze Weile so bleiben. Vielleicht verschärft sich das von Zeit zu Zeit etwas, vielleicht werden die Schrauben mal etwas gelockert. Aber mit Repression haben in einem kapitalistischen System erst einmal alle zu rechnen, die sich am Widerstand gegen dieses in welcher Form auch immer beteiligen.
Repression ist dabei alltäglich, wird aber anlässlich von großen Mobilisierungen wie der gegen den AfD-Bundesprogrammparteitag immer besonders sichtbar. Wenn wie hier ein Bündnis aus Antifa-Gruppen mit anderen Initiativen bis hin zu Gliederungen bürgerlicher Organisationen Aktionen organisiert und es groß angelegte Antifa-Mobilisierungen gibt, diese Kräfte sich aber nicht etwa negativ aufeinander beziehen, sondern sich, wie zuvor beschrieben, als ergänzende Kräfte des Widerstands begreifen, dann ist das für die Repressionsorgane keineswegs ein Grund, zu kapitulieren. Das heißt nur, dass einige ihrer Werkzeuge nochmal an Bedeutung gewinnen, besonders ihre Propaganda. So wurde im Falle des 30. April 2016 schon vorab angekündigt, dass sich die Polizei durch ein massives Aufgebot an Bullen und diversen Hilfsmitteln auf Ausschreitungen vorbereite. Sogar der Einsatz von Wasserwerfern, die seit dem „Schwarzen Donnerstag“ der Proteste gegen S21 im Jahr 2010 in Stuttgart tabu waren, wurde angekündigt. Vermittelt werden sollte zum einen, dass sich „rechtschaffene Bürger“ besser zweimal überlegen sollten, sich an den Aktionen zu beteiligen, wollten sie nicht Gefahr laufen mit „linken Chaoten“ in einen Topf geworfen zu werden. Zum anderen stellten Polizeipressestellen den einzelnen Bullen auf der Messe so einen Freibrief aus, etwa für die Verhaftung von Journalisten und der Beschlagnahmung ihrer Fotos.
Aber auch ansonsten hielten sich die Einsatzkräfte noch weniger zurück als sonst. Nicht genug, dass sie Hunderte von uns zusammenknüppelten, stundenlang festhielten und mit ihren Maßnahmen schikanierten, wurden sie noch mehr als sonst sexistisch übergriffig. Dazu kamen anlasslose Prügelattacken in Käfigen in den Hallen der GeSa – weitab von jeglicher Öffentlichkeit in Form von Journalisten oder Vertretern bürgerlicher Organisationen, die die Bullen oft zumindest noch von den offensichtlichsten Widerlichkeiten zurückschrecken lassen.
Die Steigerung solcher Vorfälle ist in Baden-Württemberg in den letzten Jahren zu beobachten und leider im Rahmen eines bürgerlich-kapitalistischen Repressionsapparats nicht verwunderlich. Was nicht heißt, dass wir uns dagegen nicht unmittelbar zu Wehr setzen könnten. Natürlich hätten gerade die sexistischen Übergriffe, aber auch die Prügelattacken im Nachhinein mehr öffentlich skandalisiert und aufgearbeitet werden müssen. Doch unser Umgang damit und der direkt erfahrenen Repression generell fängt nicht erst mit der Nachbereitung von Aktionen an . Am 30. April 2016 wurde deutlich, dass es in der Praxis im Polizeigewahrsam teilweise an einem kollektiven und solidarischen Handeln mangelt. Es ist klar, dass solche Situationen individuell immer sehr belastend sind und es schwer fällt einen klaren Kopf zu bewahren. Doch gehört es zu einem konsequenten Umgang mit Repression, nicht nur keinerlei Aussagen zu machen und Unterschriften zu verweigern, sondern auch die beabsichtigte Vereinzelung durch kollektives Verhalten zu durchbrechen. Wir sind weder Opfer noch ist es wichtig oder sinnvoll, sich individuell oder kollektiv als unschuldiges Opfer von Polizeiwillkür darzustellen. Es bieten sich auch in der GeSa oder im Kessel immer wieder Möglichkeiten, sich nach innen und gegebenenfalls auch nach außen als kollektiv handelnd, solidarisch, selbstbewusst und widerständig zu zeigen.
Wann, wenn nicht immer?
Diese Grundhaltung muss sich auch beim juristischen Nachspiel durchziehen. Neben dem Öffentlichmachen, dem bewussten politischen Führen und der Begleitung von Gerichtsprozessen, muss auch die spektrenübergreifende Solidarität praktisch werden. Auch hier wirft uns die bürgerliche Justiz immer wieder Stöcke zwischen die Beine. So wird etwa wie bei der Repression anlässlich des AfD-Bundesprogrammparteitags durch die gezielte Anwendung des Jugendstrafrechts in Kollektivverfahren und die damit oft verbundene Nicht-Öffentlichkeit von Prozessen, eine umfassende Begleitung verhindert.
Andererseits macht sich der bürgerliche Staat die Kollektivität unseres Handels auch zu Nutze. So ist gerade bei den Vorladungen wegen des 30. April 2016 immer wieder der Vorwurf der aus der Kollektivität konstruierten „Nötigung“ zu finden, aber auch wie in den vergangenen Jahren insgesamt zunehmend zu beobachten, der des „(schweren) Landfriedensbruchs“. Solche Konstrukte und Tatbestände zielen vor allem auf die Niederhaltung von kollektivem und fortschrittlichem Widerstands und geben den Ermittlungsbehörden und Gerichten ein besonders einfach zu handhabendes Instrument an die Hand, um unsere Aktionen massenhaft zu kriminalisieren.
Dennoch trifft es nicht nur einzelne, denn gemeint sind immer wir alle. Zeigen wir uns solidarisch – politisch wie praktisch. Gründen wir Soli-Komitees, sammeln wir Geld, stehen wir den Betroffenen bei.
Und: Lassen wir uns nicht einschüchtern. Bleiben wir aktiv, so wie es notwendig und sinnvoll ist. An jedem Ort, 365 Tage im Jahr.
Viel Glück und viel Erfolg – und sowieso: Solidarität!