Querdenken und die organisierte Rechte in Stuttgart – Recherchebeitrag

Wir haben einen Text und einige Bilder zugesandt bekommen, die wir gerne veröffentlichen als weitere Nachbereitung zum Aufmarsch von Querdenken in unserer Stadt und zum Beleg dafür, dass an diesem Tag eben nicht „nur“ Schwurbler & wirre Coronaleugner auf der Straße waren. Der Beitrag zeigt, dass diese Bewegung nicht nur selbst reaktionär ist, sondern sehr wohl rechts-offen und den Schulterschluss mit Nazis & Faschisten sucht. Vielen Dank für die Zusammenstellung dieser ausführlichen  Informationen!

Share-PicEine Einschätzung zu rechten Akteuren am 3. April 2021

Nachdem Querdenken seine Anfänge und Höhepunkt im Sommer 2020 in Stuttgart hatte, wurde es Ruhig um die Groß-Demonstrationen in Stuttgart. Hin und wieder gab es zahlenmäßig kleinere Kundgebungen oder Autokorsos. Am 3. April 2021 fand damit die erste Großdemonstration von „Querdenken 711“ wieder in Stuttgart statt, zu dem bundesweit angereist und von allen Querdenken-Ablegern mobilisiert wurde.

Laut Stuttgarter Zeitung waren circa 10.000 friedlichen Demonstrant*innen bei der Demonstration. Tatsächlich waren es nicht nur deutlich mehr, es kam vereinzelte auch zu Angriffe auf Journalist*innen und Gegendemonstrant*innen. Das Video einer Ohrfeige gegen einen Fotojournalisten geht durch die sozialen Medien und eine ARD Live-Schaltung wurde wegen dem Bewurf des ARD-Teams vor laufender Kamera abgebrochen. Über die gesamte Demo hinweg liefen Faschisten, rechte Hooligans und andere Rechte mit.

Die Mehrheit der Demo zeigte zwar keine rechten Symboliken, der gemeinsame Konsens wurde dennoch über die gesamte Veranstaltung deutlich: Die Ablehnung jeglicher Maßnahmen zum Schutz vor dem Corona-Virus, das Dulden von Neonazis bei den Protesten, der Umgang mit rechts offener Symbolik sowie das Ablehnen der Medien als „Lügenpresse“ verdeutlichen den rückschrittlichen Charakter der Demonstration. Vereinzelt linke Symbolik bestätigt den diffusen und reaktionären Querfrontcharakter. Keine ernstzunehmende oder relevante linke Struktur bezog sich positiv auf die „Querdenken“-Demo, geschweige denn mobilisierte dazu. Wir werten die vereinzelt gesehenen linken Symbole als Verirrungen. (1) und (2)

Generell herrschte auf der Querdenken-Demo eine Form von heiterer Volksfeststimmung, laute Musik dröhnte aus sämtlichen Bereichen der Demonstration und wurde teilweise verbunden mit einem hohen Alkoholkonsum.

Genau wie im vergangen Jahr war die inhaltliche Stoßrichtung völlig diffus: Personen, die sich in ihren individuellen Freiheiten einschränkt fühlen, Impfgegner, Evangelikale und anderen Christen aber auch Verschwörtunsgtheoretiker und Esoteriker waren präsenter Teil.

Inhaltlich ähnliche rückwärtsgewandte Dynamiken hatten vor ein paar Jahren die sogenannten „Friedens- bzw. Montagsmahnwachen“, bei denen ebenfalls Wörter wie „Frieden“ und „Freiheit“ inhaltsleer und frei interpretierbar in einem verschwörungstheoretischen Mix verwendet wurden. Wichtige Figuren der bundesweiten extremen Rechten wie Ken Jebsen und Jürgen Elsässer beziehen sich positiv auf beide rechte Bewegungen. 

Stadt und Polizei

Die Stadt und die Polizei verkündeten bereits im Vorhinein, dass sie nicht davon ausgehen, dass die Teilnehmenden der Querdenken-Demo die Hygienemaßnahmen einhalten werden. Neu an den Verlautbarungen der Behörden ist, dass sie nicht wie sonst erst im Nachhinein versuchen das Geschehen zu verharmlosen, sondern bereits von vornherein das Totalversagen ankündigten.

Auch die Äußerung von OB Nopper „hinterher ist man klüger“, spiegelt dieses Verhalten wieder . Den nicht zuletzt seit den Ereignissen rund um die Querdenken Demonstrationen in Leipzig oder Kassel ist klar, welchen Charakter und welche Dynamiken von Corona-Demonstrationen ausgehen kann.

Auch die Bezeichnung der Teilnehmer*innen als „Corona-Maßnahmen Kritiker“ verdeutlicht die mediale Verharmlosung der Coronaleugner.

Damit ist die Strategie von Stadtverwaltung und Polizei eine bewusste Unterschätzung der Dynamik von Querdenken und eben keine Hilflosigkeit des Staates.

Während die Polizei mit vorgedruckten Platzverweisen für Gegendemonstrant*innen vorbereitet war und am Abend nach der Demo junge Menschen am Schlossplatz wegen angeblich fehlender Masken martialisch kontrollierte, ließ sie knapp 20.000 Querdenker stundenlang ohne Masken und Abstand durch die gesamte Innenstadt marschieren.

Das Video eines Handshakes zwischen einem Anti-Konflikt-Polizisten und dem gewalttätigen Querdenken-Ordner Michael Schele, zeigt erneut, die Sympathien einiger Behördenvertreter*in mit Querdenken Die Antwort der Polizei, es sei ein missverständliches Video, ist dabei also eher ein schlechter Versuch die Tatsache zu verdrehen.

Der selbst der AfD zu rechte und wirre Ex-Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner plauschte und scherzte am Rande der Kundgebung mit Polizeibeamten. Er trug dabei eine rote Maske über das Kinn gezogen, auf der ein weißer Kreis mit einem schwarzen Corona-Symbol abgebildet ist. Die Ähnlichkeit zur Hakenkreuzfahne ist nicht zu leugnen. Der damit gewollte Vergleich der faschistischen Terror-Herrschaft mit der Herrschaft unter Corona ist eine klare Relativierung des historischen, deutschen Faschismus.

Auf einem anderen Foto ist Fiechtner in freundschaftlicher Manier mit dem Querdenken-Gründer und Businessmann Ballweg zu sehen. Es fügt sich zusammen, was zusammengehört. (3)

Im Folgenden wollen wir einige rechte Akteure, die an der Demo teilgenommen haben, genauer beleuchten.

Hooligans

An der Paulinenbrücke in der Stuttgarter Innenstadt versuchte eine Gruppe rechter Hooligans aggressiv in Richtung der Gegenproteste zu gelangen. Unter den teilweise Vermummten waren Hooligans des 1.FC Kaiserslautern, die eine Freundschaft zu den Nazihools von Neckar-Fils aus der Region Stuttgart haben. Einige trugen Bauchtachen der rechten Marke Thor Steinar und auch ein Tattoo der schwarzen Sonne war zusehen. (4)

Mit dabei war der bekannte Stuttgarter Nazi-Hooligan Engelmann, der früher auch schon bei Protesten rechter Hools in Mannheim oder bei rechten Aufmärschen im pfälzischen Kandel dabei war. Am Rande des Wasengeländes versuchte Engelmann unter anderem zusammen mit Dennis Konrad Gegendemonstrant*innen anzugreifen. (5), (6)

Mit auf der Demo war einer der zentralen Figuren von „Neckar Fils“: Andreas Lenz. Lenz gehört das Gerüstbauunternehmen „AKL Gerüst & Montage GmbH – Lenztechnik“ in Stuttgart-Obertürkheim, in dem mehrere rechte Hooligans arbeiten. (7)

In den ersten Reihen des Demozuges lief zudem eine Frau mit einem Pullover der rechten „Ackerkampfgruppe“ „Legion Süd“. (8)

Entgegen der Behauptung von Ballweg per Pressemitteilung, es handle sich bei den Hooligans um bewusst eingeschleuste „agents provocateurs“, waren die Fascho-Hools von Anfang an fester Teil der Querdenken-Bewegung.

Identitäre Bewegung

Die gesamte Demonstration über liefen Aktivisten der faschistischen „Identitären Bewegung“ im vorderen Bereich mit. Sie trugen dabei ihre Schlauchtücher vom IB-Shop „Phalanx Europa“. Auf dem Wasen angekommen, vermummten sie sich mit diesen Schlauchtüchern und öffneten ein Hochtransparent, auf dem „Heimatschutz statt Mundschutz“ zu lesen war. Ein Bild dieses Banners nutzt die Stuttgarter Zeitung übrigens unkommentiert als Titelbild eines Berichts über die „Querdenken“-Veranstaltung. (9), (10)

Die Faschisten der „IB“ um Michael Seibold plauschten auf dem Wasen mit dem rechten Videomacher Simon Kaupert und dem „Zentrum Automobil“-Aktivisten Christian Schickart.

Simon Kaupert filmte und interviewte während der gesamten Demo. Das Material nutzt er sowohl für seine Videoreportage im Rahmen der rechten Medienorganisation „1% für unser Land“, die den zynischen Titel „Wir sind die zweite Welle“ trägt, als auch für ein im Namen von „Zentrum Automobil“ herausgegebenes Video. (11), (12), (13), (14)

Zentrum Automobil

Die faschistische Betriebsgruppe, die sich selbst Gewerkschaft nennt, war erneut mit einer Gruppe auf dem Wasengelände zugegen. Laut Eigenangabe sind sie aus Selbstschutzgründen mit einem Bus angefahren. Auf dem Wasen pflegten sie Kontakte zu den Jungfaschisten der „Identitären Bewegung“. Mit dabei waren u. a. der „Zentrum“-Gründer und rechte Aktivist Oliver Hilburger, der Oldschool-Nazi Rico Heise und oben genannter Christian Schickart. (15), (16)

Darüber hinaus versuchten Personen mit Zentrum Automobil- Merchandise vergeblich die von Nazidemos bekannte Parole „Das System ist am Ende, wir sind die Wende!“ an zustimmen.

Altbekannte Neonazis

Auch altbekannten Neonazis waren mit in den ersten Reihe des Demozuges präsent:

Unter ihnen Dennis Konrad, der vor Kurzem erst mit Ku-Klux-Klan-Schlauchtuch bei einer Querdenken-Demo versuchte eine Polizeikette zu durchbrechen. (17), (18)

Er ist seit vielen Jahren in verschiedenen militant-faschistischen Kreisen unterwegs: Bei den „Freien Nationalisten Esslingen“, zuvor bei den zwischenzeitlich verbotenen „Autonomen Nationalisten Göppingen“ und am Rand der Nazikaderpartei „Dritter Weg“, die vergeblich versuchte, einen Stützpunkt in der Region Göppingen aufzubauen. In jüngerer Vergangenheit war Konrad zusammen mit Alexander Scholl in Stuttgarts Stadtmitte gesehen worden. Der ehemalige Fellbacher NPD-Aktivist Alexander Scholl hatte mehrere Hausdurchsuchungen wegen Mitgliedschaften in rechten Terrororganisationen, darunter der „Ku Klux Klan“, die „Weiße Wölfe Terrorcrew“ und „Blood & Honour“.

Ebenfalls in der ersten Reihe der Demo zu sehen ist der bekannte Faschist Sebastian Thalheimer, genannt „Barney“. Er kommt aus der traditionellen Nazi-Skinhead-Szene und war früher in der Region Nürtingen, Esslingen und Neuhausezene auf den Fildern unterwegs. Er hat u.a. eine schwarze Sonne tätowiert und zeigte sich früher mit Symboliken des verbotenen Nazi-Netzwerkes „Blood & Honour“ beziehungsweise der Naziterrororganisation „Combat 18“. (17)

Teil des Hooliganmobs rund um Engelmann, war auch Marius Geiger. Der früher auch bei „Die Rechte Pforzheim“ aktiv war. (19),

Ebenfalls im vorderen Teil der Demo anwesend: Der rechte Hardliner und größenwahnsinnige Verschwörungstheoretiker Marco Kurz. Kurz hatte ab 2018 regelmäßig in und um Kandel rechte Aufmärsche organisiert und wurde erst vor zwei Wochen dabei gefilmt, wie er bei einer „Querdenken“-Demo in Kassel gezielt Journalist*innen angreift. In Stuttgart lief er vermummt auf der Demo und führte ein massives Stativ (welches er bereits in der Vergangenheit für tätliche Angriffe nutze) in der Hand mit. (20), (21)

AfD

Inhaltlich hatten sich die Stuttgarter Kandidaten rund um Steffen Degler, Andreas Mürter und Sigrid Borst zwar in Richtung der Querdenken-Bewegung begeben, letztlich waren die lokalen AfD-Funktionäre bei der Demo am 3. April aber nicht auf der Straße.

Die AfD hat im vergangenen Landtagswahlkampf etwa 30% der Stimmen verloren und konnte ihr eigentliches Kernthema Rassismus gegen Geflüchtete und muslimisch Gläubige nicht wie in den vergangenen Jahren bespielen, so versuchen sie über Querdenken-Themen wieder vergeblich Anschluss zu finden.

NPD

Die in Süddeutschland bedeutungslose NPD war mit einem eigenen, aber nicht als solchem erkennbaren Transparent vor Ort. Teile der Nazis liefen mit Klemmbrettern auf der Suche nach Unterschriften herum. Die stellvertretende Landesvorsitzende Marina Djonovic, koordinierte das Vorgehen. Auf dem Wasen zeigte sich auch der ehemalige Bankräuber und Kroatien-Söldner Alexander Neidlein, der heute neben Djonovic als stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Baden Württemberg fungiert, in Cowboyhut und mit Ziegenbart. (21), (22)

Der bereist oben genannt Marius Geiger hatte auf dem Wasen ebenfalls ein Stelldichein mit Typen, die mit Klemmbrett um herzogen. Ob diese ebenfalls von der NPD waren, können wir, auch wenn der Schluss nahe liegt, nicht sicher sagen.

Neben bekannten rechten Aktivisten und Strukturen auf der Querdenken-Demo, wurden Symbole aus dem Pegida-Spektrum und andere rechte und antisemitische Symboliken offen gezeigt.

Mehrere Teilnehmende hatten Deutschland-Fahnen mit dem rechten Pegida-Spruch „Merkel muss weg“. Andere Leerdenker hatten USA beziehungsweise Pro-Trump Merchandise an. Einige Teilnehmende trugen Davidsterne auf der Brust, teilweise mit dem Wort „ungeimpft“. Der Vergleich der Verfolgung und massenhaften Vernichtung von Jüd*innen im Faschismus mit der Repression gegen Corona-Leugnern und die damit ausgedrückte Verharmlosung des Holocausts war von Anfang an fester Bestandteil der „Querdenken“-Demos, an dem sich niemand der Teilnehmenden zu stören scheint. (23), (24), (25), (26), (27)

Die Querdenken-Demo am 03.04.2021 in Stuttgart war, wie in der Vergangenheit bereits, ein Großevent, bei dem zehntausende Coronaleugner zusammen kamen, unter ihnen zahlreiche rechte Funktionäre und Faschisten. Diese nutzen die Querdenken-Veranstaltungen, um sich weiter zu vernetzen und um in Zeiten der Corona-Pandemie öffentlich auftreten zu können. Dass die Polizei ihnen den roten Teppich ausrollt und sie trotz massenhafter Verstöße gegen die Auflagen durch die Stadt hofiert, zeigt vor allem eines:

Trotz der öffentlichen Ankündigung, dass „Querdenken“ vom Verfassungsschutz beobachtet wird und der vorausgegangenen Einschätzung, dass sich dort zahlreiche Rechte tummeln, hat der Staat kein ernsthaftes Interesse daran, die „Querdenken“-Bewegung tatsächlich einzuschränken. Stattdessen konzentrieren sich Polizei und Behörden lieber auf die Kriminalisierung der antifaschistischen Proteste.

„Querdenken“ sticht durch inhaltsleere Parolen, die keine weitergehenden Forderungen oder Ansätze im Umgang mit der Pandemie bieten können, hervor. Genau darunter können sich eben auch Rechte aller Couleur setzen und ungehindert im Schutz von zehntausenden Spinnern vernetzen.

Auch wenn diese Erkenntnisse nicht neu sind, sondern genau das widerspiegeln was sich bereits letztes Jahr auf den Querdenken-Demonstrationen zeigte, ist es bemerkenswert, dass auch ein Jahr später die Corona-Demonstrationen Sammelbecken für Rechte und Reaktionäre aller Art sind und vor allem der organisierten Rechten als Ort der Vernetzung gelten.

Stuttgart, 09. April. 2021

Kontakt: rechercheteamstuttgart {ääät} emailn.de

Weitere Verweise:

Dennis Konrad:

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.proteste-gegen-corona-politik-in-stuttgart-katz-und-mausspiel-mit-der-polizei-angriffe-auf-medienvertreter.4e80b140-2dd5-4efe-90af-6dfb88f8574e.html
https://linksunten.archive.indymedia.org/de/node/132821/index.html
https://linksunten.archive.indymedia.org/de/node/160534/index.html

Marco Kurz: Foto von seinem Angriff auf Journalist in Kassel:

https://bnn.de/nachrichten/baden-wuerttemberg/faustschlag-querdenker-demo-kassel-marco-kurz-ottersweier-vorwuerfe

Marius Geiger: Outing:

https://linksunten.indymedia.org/en/node/135483/

Engelmann: Hoolprotesten in MA :

https://www.antifainfoblatt.de/artikel/%E2%80%9Epatriotisches-menschenmaterial%E2%80%9C

Barny:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/21921/
https://linksunten.indymedia.org/de/node/21925/index.html
https://linksunten.indymedia.org/de/node/21924/index.html

Foto Ballweg und Fiechtner auf Marienplatz:

https://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/523/des-wahnsinns-fette-beute-7425.html

NPD Transparent auf anderen KG:

https://de-de.facebook.com/npdbw/photos/pcb.3890638920984345/3890637720984465/?type=3&theater

ZA bei Querdenken am 3.4.21:

https://www.zentrum-automobil.de/2021/04/05/wir-sehen-uns-auf-der-strasse-alternative-gewerkschaft-zentrum-bei-querdenken-in-stuttgart/

Sympathien zwischen Cops und Querdenken:

https://www.facebook.com/redactstuttgart/photos/a.594620150728624/1648227548701207/?type=3&theater

Wir möchten uns bei verschiedenen Quellen für das zur Verfügung stellen von Materialien und Informationen für unseren Bericht bedanken.