30 Jahre Hoyerswerda – Erinnern heißt kämpfen
7 Tage faschistischer Ausnahmezustand
Im September jähren sich die rassistischen Pogrome von Hoyerswerda zum 30. Mal. Diese begannen am 17. September 1991, als eine Neonazi-Gruppe vietnamesische StraßenhändlerInnen angriff. Die Straßenhändler flüchteten in ihr Wohnheim, welches einen Tag später von dutzenden Neonazis umzingelt und dann gezielt angegriffen wurde. Unter dem Beifall einiger Anwohnenden, warfen die Nazis Steine und Molotowcocktails auf das VertragsarbeiterInnenwohnheim und riefen dabei ausländerfeindliche Parolen. Die Nazis wurden bei ihren Gewalttaten von einigen AnwohnerInnen unterstützt. Wenig später erfolgt ein weiterer Angriff auf ein nahegelegenes Geflüchtetenwohnheim. Die BewohnerInnen waren tagelangen Ausschreitungen ausgesetzt, bei denen sie um ihr Leben fürchten mussten, denn die Polizei blieb weitestgehend untätig und setzte den Nazis nichts entgegen. Stattdessen wurden die BewohnerInnen der Wohnheime, begleitet von Jubelrufen der Nazis und einigen Anwohnenden, aus der Stadt gebracht und vorerst in Wohnheime außerhalb verlegt. Viele der Angegriffen flüchteten daraufhin in größere Städte innerhalb Deutschlands oder verließen das Land. Die Neonazis feierten dies als Triumph, sie hatten ihre erste „ausländerfreie“ Stadt geschaffen. Das war der Auftakt zu zahlreichen gewalttätigen Ausschreitungen.
Wie kam es dazu?
Anfang der 1980er Jahre gab es in der DDR keine offen agierende extrem rechte Szene. Das änderte sich in den nächsten Jahren zunehmend und neben den offen auftretenden rechten Skinheads organisierte sich eine Gruppe von Faschisten, die eine neofaschistische Ideologie in die DDR hinein trugen und Verbindungen zur extrem rechten Szene und der NPD in der Bundesrepublik hatten. Der DDR-Regierung gelang es nicht vollends, adäquat auf die neuen Rechten zu reagieren. Zudem fanden die Neonazis zunehmend Rückhalt innerhalb der Bevölkerung. Dieser Rückhalt verstärkte sich im Zuge der Wiedervereinigung, vor allem durch den Turbokapitalismus, der eine schnelle Eingliederung ins westdeutsche (kapitalistische) Wirtschaftssystem fördern sollte. Die Wiedervereinigung bedeute für die damalige DDR den Zusammenbruch ihres Wirtschaftssystems, welches bis zur Einverleibung durch die BRD staatlich und planwirtschaftlich organisiert war. Alle staatlichen Betriebe wurden durch die Treuhandgesellschaft privatisiert. Im Zuge dessen wurden viele ArbeiterInnen entlassen, um die Betriebe im Kapitalismus konkurrenzfähig zu machen. Aus Großbetrieben wurden mittelständische Betriebe, viele wurden ganz geschlossen. Hinzu kam der Wegfall wichtiger regionaler sowie internationaler Märkte. Im Zeitraum von 1990 bis 1995 hatte ca. 80 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung der DDR ihren Arbeitsplatz vorübergehend oder dauerhaft verloren. Dieser Strukturwandel hatte Massenarbeitslosigkeit zur Folge und es herrschte im Allgemeinen eine große Unzufriedenheit. Gepaart mit nach wie vor vorhandenem Alltagsrassismus kommt es zu einer Zuspitzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, welche sich im Zuge der durch die Eingliederung verursachten Krise in reaktionäre Ansätze kanalisierten. Diese Tendenz war vor allem auch bei den Jugendlichen sichtbar, sie traf der wirtschaftliche Umbruch, die Auflösung der Institutionen, die zu Zeiten der DDR für die gesellschaftliche Integration von Kindern und Jugendlichen zuständig waren, besonders schwer. Die großflächige Schließung kommunaler Jugendeinrichtungen beförderten soziale Spannungen. Viele Jugendliche reagierten auf diese Erfahrungen mit der Übernahme nationalistischer und fremdenfeindlicher Einstellungsmuster aus dem öffentlichen Diskurs um die deutsche Einheit.
Die Reaktionen des Staates
Durch die, für die Nazis erfolgreiche, Vertreibung der sog. „Ausländer“ (GastarbeiterInnen und Asylsuchende), wird Hoyerswerda innerhalb der rechten Szene als Schlüsselerlebnis angesehen. Was nicht verwunderlich ist, wenn man Nazis nichts entgegensetzt und diese tun können, was sie wollen oder gar Beifall für ihre abscheulichen Taten ernten. Die Gewalteskalation gegen MigrantInnen im September 1991 hätte durch rechtzeitiges Eingreifen der Polizei verhindert werden können. Die Entscheidung die MigrantInnen aus der Stadt zu bringen, statt die rassistischen Pogrome effektiv zu beenden, kam obendrein einer Kapitulationserklärung gegenüber den Angreifern gleich.
Nach mehreren Tagen der Ausschreitungen gewann die Polizei zwar an Durchsetzungskraft, diese bekamen dann aber vor allem Teilnehmende einer aus Berlin organisierten antirassistischen und antifaschistischen Demonstration zu spüren. Wie nicht anders zu erwarten war, schoben sich Kommunalpolitik und Polizei die Verantwortung für das Totalversagen gegenseitig zu. Der damalige sächsische Innenminister Rudolf Krause (CDU) wollte trotz der Vorgänge in Hoyerswerda eine groß angelegte Polizeiaktion vermeiden und versuchte sich kurz nach den rassistischen Pogromen in Täter-Opfer Umkehr, in dem er die Betroffenen der Angriffe für die Pogrome verantwortlich macht. Hierbei spielten auch die Medien eine große Rolle. Ebenso relativierend verhielten sich PolitikerInnen und BürgerInnen der Stadt, die zum Teil mit den Angreifern sympathisierten bzw. ihre Taten duldeten.
So fand sich beispielsweise in der Lausitzer Rundschau einige Tage nach den Pogromen ein Artikel mit der Überschrift „Ein Vergessen gibt es nicht. Gesprächsrunde mit Innenminister Eggert zum Ausländerproblem“ (Veröffentlichung 07.10.91). Seitens der staatlichen AkteurInnen gab es in keiner Form eine Entschuldigung oder Entschädigung für die Betroffenen. Die Auswirkungen der Geschehnisse auf deren weiteren Lebensverlauf wurde in der Öffentlichkeit kaum beleuchtet. Fast alle mussten im Anschluss der Evakuierung nach Frankfurt zur „freiwilligen“ Abschiebung. Viele hatten ihre Arbeitsverträge nicht verlängert bekommen oder wollten Deutschland verlassen, weil sie um ihr Leben fürchteten.
Nach 1991 wurde ein „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ ins Leben gerufen. Durch dieses Modellprojekt sollten rechte, als „gewaltbereit“ verharmloste, Jugendliche in Maßnahmen der Jugendhilfe eingebunden werden. Darin waren Ansätze einer „akzeptierenden Sozialarbeit“ formuliert. Hierbei wurden die gesamtgesellschaftlichen Ursachen für die verstärkte Hinwendung vieler Jugendlicher zur extrem rechten Szene verkannt. Es kam zur Vernachlässigung einer klaren Abgrenzung gegenüber neonazistischen Einstellungen und Gruppierungen. In den folgenden Jahren kam es zu weiteren rechten Angriffen, bei denen die Betroffenen kaum Unterstützung seitens der Behörden bekamen. 1992 wurde den rechten Jugendlichen von der Stadt ein Klubhaus zur Verfügung gestellt, nach dessen Bezug es weiterhin zu heftigen Ausschreitungen und Gewalteskalationen seitens der rechtsradikalen Jugendlichen auf Linke und MigrantInnen kam. Einen Höhepunkt dieser gewalttätigen Übergriffe stellt der Angriff auf ein alternatives Konzert 1993 im städtischen Jugendclub von Hoyerswerda dar, welches am 20. Februar von etwa 20 rechten Skinheads überfallen wurde. Dabei töteten sie den 23-jährigen Mike Zerna. Zur Tat verabredet hatten sie sich vorher in ihrem staatlich finanzierten Klubhaus. Einer der Täter war bereits an den rassistischen Pogromen ’91 beteiligt, erhielt dafür nur eine kurze Bewährungsstrafe, die ihn offensichtlich nicht davon abhielt, sich an einem Mord zu beteiligen. Der Umgang mit den Rechten macht deutlich, dass Nazis vom Staat keinen konsequenten Gegenwind zu erwarten haben und im Zweifel sogar eher Akzeptanz und Verständnis für ihre Angriffe ernten.
Unsere Konsequenz: Antifaschistisch kämpfen!
Die Geschehnisse in Hoyerswerda verdeutlichen, dass der Staat kein verlässlicher Partner im Kampf gegen rassistische Pogrome ist. Auch wenn er in bestimmten Situationen, in denen Rechte über die Strenge schlagen, ein Durchgreifen vorgibt, ist der bürgerliche Staat nicht gewollt, diesem Treiben nachhaltig etwas entgegen zu setzen. Denn das liegt auch gar nicht in seinem Interesse: Während sich in Krisensituationen gesellschaftliche Widersprüche zuspitzen und Unmut zunimmt, profitieren die Herrschenden davon, dass Rechte die Bevölkerung in „deutsch“ und „nicht-deutsch“ spalten und somit einen gemeinsamen Kampf zur Überwindung von Ausbeutung und Krisen erschweren.
Mit dem Aufstieg der AfD und der größeren Fluchtbewegungen im Jahr 2015 haben Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte und pogromartige Situationen wie in Chemnitz wieder vermehrt an Aktualität gewonnen. Durch die in Krisenzeiten veränderte gesellschaftliche Situation wittern rechte Kräfte nunmehr wieder ihre Chance und werden sich zu gegebener Zeit auf‘s Losschlagen vorbereiten. Zudem können wir im Sicherheitsapparat des Staates vermehrte rechte Aktivitäten feststellen und dürfen uns weiterhin nicht auf einen Staat und seine Gesetze verlassen, der die Militarisierung und Organisierung faschistischer Akteure verharmlost, vertuscht und durchgehen lässt.
Wollen wir den Rechten effektiv etwas entgegen setzen, dann müssen wir uns selbst gegen sie wehren. Wir geben uns zwar nicht vollends der Illusion hin, jedes Pogrom verhindern zu können. Jedoch erachten wir es als notwendig, den Kampf gegen Nazis und RassistInnen bereits vorher auf verschiedenen Ebenen zu organisieren um diese in die Defensive zu drängen. Dazu zählen rechte Strukturen auszuforschen und offenzulegen, ihre Organisierungsversuche zu unterbinden, aber auch ihnen die Straße als öffentlichen Raum der politischen Auseinandersetzung zu nehmen. Naziaufmärsche, die Beteiligung an rechtsoffenen Massenbewegungen wie „Querdenken“ und AfD-Wahlkampfveranstaltungen bieten Rechten verschiedener Strömungen immer eine Plattform um Stärke zu demonstrieren, sich zu vernetzen und die Straße für sich zu beanspruchen. Diesen Versuchen muss konsequent Einhalt geboten werden um den Rechtsruck der letzten Jahre sowie die damit einhergehenden Angriffe zurück zu schlagen.
Die Grundvoraussetzung für dieses Vorhaben ist eine eigenständige, gut organisierte und überregional vernetzte antifaschistische Bewegung, die es schafft angemessen auf rechte Mobilisierungen und Aktivitäten zu antworten. Wenn uns das gelingen will, brauchen wir viele Menschen! Kommt beispielsweise zu den Offenen Antifaschistischen Treffen in eurer Stadt oder Region, vernetzt euch mit weiteren AntifaschistInnen und gemeinsam nehmen wir AfD, Nazis und sonstigen Rechten den Raum, den sie nutzen wollen um früher oder später wieder los zu schlagen.
Die Antifaschistische Aktion aufbauen!